Volkstanz und Politik

Seit es das Radio und die Schallplatte gibt werden Musik und Lieder verstärkt zur System-Propaganda eingesetzt. Sie sollten in beide Richtungen wirken, in das eigene Volk hinein und sie sollten nach außen ein gewünschtes Bild des Systems vermitteln. Eine neue Qualität trat auf, als seit den 70er Jahren in die Gruppe der weltweiten Balkantänzer:innen Tanzlieder eingeführt wurden, die propagandistische Inhalte des Kommunismus hatten. Friedfertige Volkstänzer:innen wurden zum Medium des Partisanenkampfes gemacht.

Ein Lied im Kalten Krieg

Das erste Lied, das uns auffiel war Ende der 70er Jahre  „Imala majka edno mi čedo“. Es fiel uns auf weil wir als West-Berliner, in dem damals in Berlin tobenden Kalten Krieg geübt waren, politische Strömungen zu bemerken. Ulf brachte den Liedertext von einem Seminar in Paris zurück, wo den Teilnehmer:innen das Lied vom bulgarischen Referenten in die Feder diktiert wurde und mit Andacht gesungen wurde.  Wir bemühten uns um eine Übersetzung und stellten fest, dass wir zu diesem Lied mit diesem Inhalt in West-Berlin nicht tanzen konnten. Der Text erzählt von dem rosengleichen Kind Nikola, der gegen die Faschisten kämpft, das Pirin Gebirge und das Rila Kloster als Heimat gewinnt und mit einer roten Fahne andere junge Männer anführt. Wer damals um die territorialen Konflikte in der Region zwischen Bulgarien und dem Mazedonien, als Teil der Jugoslawischen Föderation wusste, konnte einschätzen, dass das Lied trotz seiner schmeichelnden Melodie zum physischen Kampf aufruft. Der Text  ist nicht zu verwechseln mit einer alten Ballade „Imala majka do devet sina“, unter anderen gesungen von der verstorbenen Vaska Ilieva aus dem heutigen Nord –Mazedonien. Hier wird das lebenslange schlechte Gewissen einer Mutter beschrieben, die neun hübsche Söhne hat  und den zehnten, hässlichen Sohn, verstößt.  

Melodien formen Emotionen

Wenn wir andere Gruppenleiter:innen auf den Inhalt des Liedes „Imala majka edno mi čedo“ ansprachen, dann war er ihnen gleichgültig. Sie fanden die Melodie sooooo schön. Ja, es ist nun einmal so, dass Lieder für Propagandazwecke  immer Emotionen hervorrufen sollen. Mal sentimentale, mal aktivitätsfördernde Gefühle. Das ist die Absicht. Siehe Literaturempfehlung unten.

Irgendwann in den 80er Jahren, wurde „Imala majka edno mi čedo“ durch „Karamfil“ in der Folkdance Community abgelöst. Die einschmeichelnde, verträumte Melodie und der einfache Tanzablauf machten es zu einem Hit in den Balkantanzgruppen in Deutschland und in Amerika, bis heute. In diesem Lied wird der Partisanenkampf verherrlicht und junge Männer aufgefordert dem Beispiel des Helden zu folgen. Selbst wenn man kein Bulgarisch spricht, können aufmerksame Tänzer:innen hören, dass das Wort „Partizan“ mehrfach vorkommt. Das legt den Gedanken nahe, dass dieses Lied eigentlich aus der Zeit gefallen ist (Bulgarien ist Mitglied der EU)  und eher in ein historisches Archiv gehört, anstatt in eine Tanz-und Musiksammlung für den Schulgebrauch heute. (Wo es sich jetzt befindet)

Liebe Bulgaren, verzeiht mir, dass ich zuerst ein Beispiel aus eurem Land nenne. Ihr seid nicht die ersten und die letzten, die politische Propaganda mit Tanzliedern gemacht haben. Und ihr habt erfolgreiche Nachahmer gefunden, bis heute.

Wir müssen mehr als die Schritte eines Tanzes wissen.....

Seit es Übertragungsmedien wie Radio und Schallplatten gibt, wird versucht die Hörer nötigenfalls zu manipulieren. Wir als „Konsumenten“ müssen uns um die Inhalte der Lieder kümmern zu denen wir tanzen. Es ist ein wichtiger Teil der Kulturarbeit von Balkantänzer:innen, neben den Tanzschritten, gesellschaftliche, historische und politische Aspekte der Kultur des Balkans zu kennen.

Der Kroatische Tanz „Opšaj diri“ ist ein Beispiel dafür, wie tief sich Texte und Propaganda in die Köpfe eingraben.  Zum Ende des Zweiten Weltkrieges wurde in Ex-Jugoslawien das Volkslied „Opšaj diri“ zu einem Loblied auf Partisanen umgedichtet um sie in Kampflaune zu halten. Generationen von Kindern in ganz Ex- Jugoslawien haben das kroatische Lied in der Schule gelernt und nie vergessen. Der Tanz dazu hieß dann „Partizansko Kolo“.

Stephan Kotansky brachte uns ca. 1976 den Tanz aus Californien mit, wo das Lied 1966 vom Ensemble NAMA mit dem alten Originaltext eingespielt wurde. Wenn wir diesen Tanz in Gegenwart von „Gastarbeitern“ (so der alte Ausdruck) vorgeführt haben, dann haben alle den Partisanen-Text aus ihrer Schulzeit innerlich mitgesungen und waren fest davon überzeugt, dass auch wir genau diesen Text gerade gespielt haben. Nach der Auflösung des Systems und besonders nach dem Balkankrieg war es ratsam, diesen Tanz nicht öffentlich vorzuführen, wenn Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien anwesend waren.  Gerade die Älteren hatten die Assoziation zu Tito und zum Partisanenlied im Ohr und die Jüngeren wussten nur, dass es in der neuen Zeit „heikel“ war das Lied zu spielen oder danach zu tanzen. Unter der Annahme wir nähmen das Loblied auf die Partisanen zum Tanzen, glaubten sie, dass wir mit dem Lied das alte System unterstützen wollten, das sie gerade hinter sich gelassen hatten. Inzwischen ist es problemlos mit „Opšaj diri“ aufzutreten. Seit 30 Jahren hat keiner mehr den Propagandatext gelernt oder gesungen. Er ist vergessen. Mehr Informationen zum Tanz über den Link unten von Ron Houston.

Ein weiteres beliebtes Tanzlied, das weltweit gesungen und getanzt wird ist „Makedonsko Devojče“. Darin wird die Schönheit der mazedonischen Frauen mit einer einprägsamen, lieblichen  Melodie  besungen. Es hat also die inhaltlichen und musikalischen Qualitäten ein Lied zu sein, das nationalistische Strömungen unterstützen könnte. Aber irgendwie ist es dazu nicht gekommen. Zum Glück! Makedonsko Devojče wurde von Jonče Hristovski, einem mazedonischen Sänger,  komponiert und getextet als seine Frau im Kindbett starb nachdem sie ein Mädchen geboren hatte. Das war seine Trauerarbeit. Dieses „Mädchen“ hat kürzlich seinen 55. Geburtstag in Skopje, Nord-Mazedonien, gefeiert. Diese eindeutige Zuordnung des Liedes in das heutige Nord-Mazedonien hindert aber inzwischen niemanden mehr, es in den anderen Balkanländern auch zu singen und schon lange wird beim Singen dann eben die eigene Heimatregion eingesetzt.

Es gibt bis in die Gegenwart, trotz Cambridge Analytics, viele Beispiele dafür, dass Regierungen propagandistische und nationalistische Inhalte mit populären Volksliedern transportieren wollen. Die Tänzer:innen, die Tänze aus vielen Ländern tanzen, sollten sich dessen bewusst sein, dass es eine große Verlockung ist, sie zu „Werbeträgern“ zu machen, weil sie die Sprache nicht verstehen. Gerade Musik und Tänze aus Konfliktregionen bergen die Gefahr, Sprachunkundige zu instrumentalisieren. Zum Glück können wir die Texte im internet recherchieren und finden für fast alle Lieder Übersetzungen.

Tanzen macht trotzdem Spaß und wir tanzen weiter!


Ergänzende Literatur:

Hans Hielscher hat in „Spiegel GESCHICHTE“ die Geschichte von „Bei mir biste shein“ am 10.11.2020 veröffentlicht……….ein in Nazi-Deutschland  verbotenes Lied leitete für einige Jahre den Auslandsfunk des Dritten Reiches ein……. als Beispiel außerordentlich skrupelloser Propaganda

Ron Houston 2013

https://folkdancefootnotes.org/dance/a-real-folk-dance-what-is-it/1st-generation-dances/opsaj-diri-croatia/

geschrieben von

Eveline Krause & Ulf Weigel